Führung und Angst II
Das doppelte Zeichen bewusst wahrnehmen
Sie erinnern sich: Wer führt, trifft gerade solche Entscheidungen, bei denen etwas - und nicht nur „etwas“ - auf dem Spiel steht. Wer führt, erzeugt kaum abschätzbare Folgen, für sich und andere. Und: Wer führt, hätte auch (ganz) anders entscheiden können. Schwindelerregend, oder? Bleiben Sie also noch einen Moment bei diesen Zeilen.
Machen Sie sich ihre Bedeutung in Ruhe bewusst: Nicht nur etwas steht auf dem Spiel. Kaum abschätzbare Folgen entstehen. Es könnte auch ganz anders sein. Fühlen Sie das Gewicht dieser siebzehn Worte? Spüren Sie, wie sich diese siebzehn Worte in Ihrem Kopf und Ihrem Körper anfühlen? Merken Sie, was Sie da tun, jeden Tag? - Jeden Tag setzen Sie sich diesen Situationen aus. Und jeden Tag vollbringen Sie die heroische Leistung, dabei Ihre Aufgabe zu erfüllen. Wie schaffen Sie das? Und: Was denken Sie, ist der Preis, den Sie dafür bezahlen? [LESEPAUSE]
Natürlich gibt es die Behauptung, wirklich reflektierte Menschen würden deshalb keine Führungsfunktionen einnehmen, weil ihnen klar wäre, was sie da tun (müssten). Oder die Behauptung, Führungspersonen müssten gerade deshalb die Fähigkeit zum Ausblenden der (nicht relevanten) Realität besitzen. Aber wie soll über Relevanz ohne gründliche Reflexion entschieden werden? Und wollen wir uns eine Welt vorstellen, deren Geschicke massgeblich gestaltet werden von, ähm, nicht sehr reflektierte Leuten? Usw. Es hilft nichts, schließlich gehört es wohl kaum zu Ihrem Selbstverständnis, wenig reflektierte Entscheidungen zu treffen. Oder? Damit ist klar: Ohne gründliche Reflexion geht es nicht. Und wer reflektiert, kommt an der Angst, kommt an KIERKEGAARDs Schwindel der Freiheit nicht vorbei. Ebenfalls nicht vorbei kommen Sie wohl an den entsprechenden Anspannungen Ihres Körpers und Ihrer Seele. Allerdings haben Sie wahrscheinlich ziemlich lange die Wahl, ob und wie sehr Sie diesen Schwindel und diese Anspannungen bewusst wahrnehmen wollen. [LESEPAUSE]
Bekanntlich können Sie wichtige Informationen, die Ihnen nicht (bewusst) vorliegen auch nicht (bewusst) in Ihre Entscheidungen einbeziehen. Bekanntlich sind Entscheidungen, die ohne Berücksichtigung wichtiger Entscheidungsgrundlagen getroffen wurden, nichts, was Sie gerne haben wollen. Was wiederum bedeuten könnte, sich bewusst und nicht zu spät diesem Schwindel der Freiheit zuzuwenden. Nicht zu spät meint, so früh, dass Sie noch genügend Kapazität haben, mit ihm konstruktiv umzugehen. Denn schließlich: Diese Angst, dieser Schwindel der Freiheit ist ein Zeichen Ihrer menschlichen Würde. Sie ist ein Zeichen Ihrer Freiheit. Ohne diesen Schwindel keine Entscheidungsfreiheit, keine Möglichkeit, Ihr Leben zu gestalten. Ohne diesen Schwindel keine Möglichkeit verantwortlich zu sein, für Sie selbst und Ihr Leben. Ohne diesen Schwindel keine Möglichkeit, Mensch und Führungsperson zu sein.
Fragen wir also, was Sie tun und lassen könnten, um bewusst Ihre existenziellen Kosten zu senken und bewusst, also verantwortlich, verantwortlich zu sein. Beginnen wir mit Ihrem Selbstverständnis - als Führungsperson und als Mensch.
Lassen Sie uns das vertiefen.