Als wir das Ziel aus den Augen verloren (Führung & Angst V)
Noodynamik - kreative Spannung von eigener Vision & eigener Realität
Als wir das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten wir unsere Anstrengung. So ungefähr die Analyse Mark Twains. Der lebte in anderen Zeiten und Umständen. Geblieben ist uns die Verdoppelung der Anstrengung.
Wobei wir Eulen nach Athen tragen, wenn wir sagen: Anstrengung ist gut. Auch die Verdoppelung der Anstrengungen kann gut sein. Allerdings verdoppelt sich damit auch die Frage nach dem Wozu. Wozu dieses immense Maß an Anstrengung? Diese einfache Frage kann mit erheblichen Tabus belegt sein. Wozu? Wohin? Weshalb? Grundsätzliche Fragen, die gerne ungestellt bleiben oder zynisch abgetan werden. Häufig finden sich dahinter Schmerz und Angst. Schmerz vielleicht über das Maß an Arbeits-, also Lebenszeit, das für fragwürdige Zwecke investiert wurde. Angst beispielsweise davor, was passieren könnte, wenn die Frage nach dem Wozu lauter gestellt würde - in der eigenen Seele und der eigenen Organisation. Also (weiterhin) wegschauen?
Lassen Sie uns nicht vergessen: Wir reden hier nicht über ein „nice to have“, sondern über zentrale qualitative Führungsgrundlagen. Denn, wer wollte andere dauerhaft wirksam inspirieren, der nicht selbst von etwas begeistert ist, das mehr ist als sein nächster Benefit? Und wer wollte von Mitarbeitenden glaubwürdig alles Entscheidungsrelevante auf den Tisch gelegt bekommen, der sich seiner eigenen Realität nicht stellt?
Nun, Angst und Schmerz kann dem so unangenehm wie hilfreich sein, der durch sie hindurch zu tasten wagt - in diesem Fall sowohl hin zum Nachdenken über den Zweck des eigenen Lebens und Arbeitens - hier eigene Vision genannt - als auch hin zur Klärung der eigenen Ist-Situation, ohne dabei den üblichen Verschleierungs- und Beschönigungsimpulsen zu folgen. Wer es in dieser Weise unternimmt, sich seiner Führungssituation zu stellen, beachte dabei auch das hilfreiche Dritte. Das, was Viktor Frankl schon früh Noodynamik nennt und damit bezeichnet, was menschliches Grundfunktionieren ausmacht: Das Ausgespanntsein zwischen Sein und Sollen, zwischen dem, was ein Mensch jeweils ist, und dem, was er und sie jeweils sein könnte. Frankls Kollege Irving Yalom spricht Jahrzehnte später „von der Diskrepanz zwischen dem, was man ist und was man sein könnte“ und der dadurch erzeugten „Flut von Selbstverachtung“. Beide Perspektiven sind möglich. Wir empfehlen dringend Viktor Frankls Perspektive der Kraft - und lassen uns bewegen von dem, was noch nicht ist, aber werden kann.
Fassen wir überblicksartig zusammen: Führungspersonen haben erheblichen Einfluss auf die Gestaltung von Organisationen. Damit nehmen sie in nicht zu unterschätzender Weise gestaltenden Einfluss auf das Leben vieler Menschen - ganz direkt vor allem der Menschen, die jetzt und zukünftig in diesen Organisationen einen großen Teil ihrer wachen Lebenszeit verbringen wollen. Deshalb verbindet sich mit dieser Aufgabe ein großes Maß an menschlicher Verantwortung, die vorbildhaftes Handeln erfordert. Vorbildhaft, indem sich Führungspersonen regelmässig mit dem Wozu ihres (Arbeits-) Lebens beschäftigen. Vorbildhaft, indem sich Führungspersonen mutig die Realität ihres (Arbeits-) Lebens anschauen. Und vorbildhaft, in dem sie die unweigerliche Differenz als tägliche Ermutigung sehen und erleben lernen - und als nahezu unerschöpfliche Quelle der Kraft und Inspiration. Demnächst mehr dazu.
Lassen Sie uns das vertiefen.