Der Anspruch – Führung und Angst IV
Wo kämen wir hin, wenn Führungspersonen keinen hohen Anspruch hätten, an sich und andere. Was allerdings ist ein hoher Anspruch – und wozu ist er (nicht) gut?
Wir wissen es: Ein hoher Anspruch ist Ansporn, motiviert und sorgt nötiges Engagement, ein bestmögliches Ergebnis zu erreichen. Bestmöglich aus Sicht derer, für die der Auftrag erfüllt werden soll. Damit wäre ein hoher Anspruch so etwas wie eine angemessene Vorstellung von einem aus Sicht der Auftraggeber sinnvollen Verhalten und Ergebnis. Moment. Was genau meint denn „bestmöglich“? Geht es nicht immer noch – ein winziges bisschen – besser? Nur ein bisschen mehr Zeit, ein bisschen mehr Manpower, ein bisschen neuere Technik, und schon wäre... Wann ist das Immer-noch-Bessere wirklich gut genug? Rettet uns letztlich nur die Deadline vor einem ins Unendliche gesteigerten Verbesserungsdrang? Ist es Teil der Schwierigkeit, dass viele – als Auftraggeber wie Auftragnehmer – letztlich vor der Frage stehen, wann sie denn sich selbst für gut (genug) halten dürfen?
Und: Wo kippt die Höhe des eigenen Anspruchs und seiner Durchsetzung vom Gipfel des Auftraggeber-Wohls in ... – ja, in was eigentlich? Gehen wir zuerst einen Schritt zurück. Vor mehr als zehn Jahren wurde der Begriff der Besonderheitsverwechslung geboren. Er geht davon aus: Menschen wollen etwas Besonderes sein, wissen oft nicht so recht, was das eigentlich ist und lassen sie sich daher leicht von einer gängigen Meinung überzeugen: Besonders bin ich dann, wenn ich besser bin – besser als die anderen. Besonderheitsverwechslung also deshalb, weil das Besondere, das spezifisch Eigene, Unverwechselbare, mit etwas verwechselt wird, was sich vergleichen lässt (schließlich kann einer nur im Bereich des Vergleichbaren besser sein). Wäre der Begriff der Besonderheitsverwechslung zutreffend, welch tragisches Geschehen würde er enthüllen: eine Vielzahl von Menschen – Männer und Frauen? – die ihre Kostbarkeit am falschen Ort suchen...
Wagen wir noch einen Blick über die steil abfallende Kante dieser Gipfel-Spur: Hohe Ansprüche, gerade bei Führungspersonen, stehen immer wieder in der Gefahr, aus der Erhabenheit von Auftraggeber-Wohl und kooperationsfördernder Motivation zu kippen – notfalls bis in die Abgründe eigener Ego-Bepinselung. Dieser Wunsch, in erster Linie selbst vor seiner relevanten Umwelt und der eigenen inneren Beurteilungsinstanz besonders gut dastehen zu wollen, mag ethisch fragwürdig und psychisch auf Dauer anspruchsvoll sein – warum aber gefährlich? Weil hier ein organisatorischer Zweck (= gute Arbeit für Auftraggeber) zum Mittel (= Steigerung des eigenen Wertempfindens) verkehrt wird? Weil viele Menschen sich gerne für sinnvolle Zwecke verausgaben – nicht aber für fremde Ego-Trips? Weil dadurch situationsadäquates Handeln zum Wohle der Organisation erschwert wird (wie viel Platz bleibt für die berechtigten Bedürfnisse der Kolleginnen und Kollegen, wenn ich in erster Linie meine Aufwertung betreibe)? Weil wir wissen, wie gefährlich sich Bonus- und Anreizsysteme auswirken usw.?
Einfache Verständnislosigkeit oder gar Verurteilung solchen Verhaltens ist angesichts der Exponiertheit des Führungsalltags jedoch nicht am Platz. Woher sonst sollen Führungspersonen ihre Stabilität und ihren Schutz nehmen (ja, auch so genannt gestandene Führungspersonen haben erhebliche Schutzbedürfnisse), was sonst hilft ihnen, den Druck zu balancieren usw.?
Lassen Sie uns das vertiefen.